Egal ob hochstrittige Themen, unvereinbare Lebensentwürfe, tiefe Kränkungen oder emotionale Entfremdung in der Beziehung: manche Paare bewegen sich aus unterschiedlichen Beweggründen latent am Rande der Trennung. Was bringt Paare in diese Situation und was verbindet sie? Muss eine Paartherapie immer das Ziel einer Weiterführung der Beziehung haben oder soll es um die Möglichkeit einer guten Trennung gehen?
Nur ein ein Bruchteil aller verheirateten oder in einer festen Beziehung lebenden Paaren nimmt eine Paartherapie in Anspruch. Und es ist anzunehmen, dass noch weniger Paare, welche eine Scheidung erwägen, eine Therapie beginnen. Manche Paare gehen in die Beratung oder Mediation mit dem Ziel einer gütlichen Trennung. Sie haben sich bereits entschieden, die Ehe zu beenden. Sie wollen auf dem Weg der Trennungsmediation die Aufteilung der Vermögenswerte oder das Sorgerecht gemeinschaftlich lösen. Doch wie kann eine gute Trennung gelingen? Oder was, wenn ein Paar noch hoch ambivalente Gefühle begleitet?
“Paradoxerweise können genau diese ambivalenten Gefühle, sich wiederholende, rigide Muster, Anstoß für tiefgreifende Veränderungen sein und konfliktauflösend wirken.”
Manche mögen meinen, es macht nur Sinn in eine Paartherapie zu gehen, wenn beide Partner das Ziel hätten, ihre Beziehung fortführen zu wollen. In der Realität ist es aber meistens so, dass Partner in einer sehr konfliktbehaftenden Phase ihrer Beziehung unterschiedliche Ziele haben. Oft lautet daher die primäre Frage der Partner: "Soll ich die Beziehung aufgeben oder soll ich bleiben?" Umgekehrt sehe ich auch selten Paare, die mit dem Ziel einer guten Trennung in die Therapie kommen.
Vier Typen von Paaren am Rande der Trennung
1.) Hochstrittige Paare
Das Beziehungsmuster hochstrittiger Paare ist geprägt von Eskalationen, Rückzug oder negativen Interpretationen bezogen auf den Partner und das Leben im Allgemeinen. Demgegenüber gehen die Partner seltener aufeinander ein, können bei der Diskussion unangenehmer Themen weniger positiv bleiben oder nach verletzenden Ereignissen wieder ins Gespräch kommen. Aus diesen Gründen beginnen solche Paare eine Therapie eher zu einem Zeitpunkt, an dem ein oder beide Partner das Gefühl haben, "die Schnauze voll zu haben" und nicht mehr in einer vergifteten Beziehung leben zu können. Der Fokus in dieser Konstellation liegt daher darauf, positive Verhaltensmuster zu fördern, um die eine oder andere Gesprächsbasis zu ermöglichen.
2.) Paare, bei denen Werte und Erwartungen verletzt oder die Sicherheit gefährdet wurde
Bei diesen Paaren hat meistens ein Partner die Werte und die Integrität des anderen einmal oder mehrfach verletzt. Der Vertrauensbruch kann etwa durch Affären, in Missachtung der Treue und Loyalität oder wiederholten Drohungen den Partner zu verlassen gekommen sein. Die Sicherheit des Partners kann durch verbale oder körperliche Gewalt, wiederholt gefährliches Verhalten im Alltag oder riskante finanzielle Unternehmungen wie etwa Glücksspiele gefährdet worden sein.
3.) Paare mit unvereinbaren Lebensentwürfen
Eigentlich kommen diese Paare gut miteinander zurecht. Jedoch existieren oft ein oder zwei bestimmte Themen, die eine immense Spannung in die Beziehung bringen. Meistens geht es darum, wenn ein bestimmtes Lebensziel erreicht werden soll, wie z.B. die Familienplanung und -gründung. Paare, welche sich weder in der Frage nach dem "Was?" noch dem "Wann?" einig sind, trennen sich eher als Paare, bei denen das "Was?", jedoch nicht das "Wann?" im Einklang miteinander ist. Bei diesen Paaren ist oft das Gefühl vorherrschend: Könnten wir dieses eine Problem lösen, so wären wir eigentlich ganz glücklich in unserer Beziehung.
4.) Entfremdete Paare
Diese Paare zeigen wenig Energie, Leidenschaft und Motivation. Obwohl diese Paare distanziert erscheinen, haben sie früher häufig und heftig miteinander gestritten, aber die Hoffnung zur Besserung aufgegeben. Die Distanzierung wirkt oft auch als Schutzmechanismus vor weiteren Enttäuschungen. Häufig bleiben diese Partner aufgrund ihrer Lebensumstände zusammen. Sie wollen die Kinder nicht verletzen, Komplikationen bei der gerechten Aufteilung der Vermögenswerte vermeiden oder nicht gegen religiöse oder sozial erwartete Normen verstoßen.
Natürlich kann es wie immer auch Mischformen im jeweiligen Beziehungskontext geben. Gemeinsam ist jedoch oft das Gefühl einer verfahrenen Situation ohne Aussicht auf eine "gütliche" Lösung. Die Paare haben schon eine lange Zeit der Belastung hinter sich. Neben dem emotionalen Stress der Beziehung kommen meistens noch Belastungen durch einen anspruchsvollen Job, der Kindererziehung oder die Sorge um finanzielle Verbindlichkeiten hinzu. Oft wurden auch schon viele Dinge versucht die Kommunikation zu verbessern, Freunde oder Familienmitglieder in mögliche Lösungsversuche eingebunden und dadurch der Konflikt eventuell noch größer.
Paartherapie als Chance für tiefgreifende Veränderungen
Paare bewegen sich somit in einem Spannungsfeld zwischen eigenen Interessen, den Interessen des anderen sowie gemeinsamen Interessen der Partnerschaft. Damit ergibt sich ein stetiges Pendeln zwischen Autonomie und Bezogenheit. Jeder Partner bringt aber natürlich auch eigene Werte, Erfahrungen und Wünsche aus dem Kontext der eigenen Lebensgeschichte ein. Dazu kommen manchmal noch zusätzliche Verantwortungen aus der Elternrolle, die auf die Partner in der Paarbeziehung wirken.
Wie schon eingangs erwähnt, muss die Paartherapie nicht immer das Ziel der Fortführung der Beziehung haben. Entscheidend ist das Verständnis für ein gemeinsames Ziel. Dies kann der gemeinsame Umgang als Paar im Rahmen einer Trennung oder Scheidung, oder auch die Erarbeitung eines gemeinsamen Verständnisses für das Leben als Eltern nach einer Paarzeit sein.
Ein Bewusstmachen dieser sowie wechselseitiger Dynamiken und Kommunikationsmuster im Rahmen einer Paartherapie kann für ein gemeinsames Verständnis somit durchaus hilfreich sein.
* Aus Gründen der leichteren Lesbarkeit verwende ich abwechselnd die weibliche oder männliche Form. Männer und Frauen sind natürlich gleichermaßen angesprochen. Gerne kann der Artikel auch über soziale Netzwerke geteilt werde.
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