In welchen Phasen verläuft unser Leben? Geht es um die Einordnung einer chronologische Abfolge wie "von der Wiege bis zur Bahre"? Wann merkt man, dass man in einem Übergang von einer Lebensphase in die andere steckt: etwa nur dann wenn es sich um ein "einschneidendes" Erlebnis handelt, das alles bisherige in Frage stellt? Welche Rolle können dabei Rituale oder auch eine begleitende Psychotherapie spielen?
Diese und viele weitere Fragen stellte ich mir vor und während des Besuches eines Seminars mit dem gleichnamigen Titel. Ich hatte - wahrscheinlich wie alle von uns - eine gewisse Vorstellung von den Begriffen Lebensphasen, Übergänge und Rituale. Im Austausch mit meinen Kolleginnen merkte ich aber relativ rasch, welche unterschiedliche Perspektive man auf die Themen einnehmen kann. Bei Phasen oder Übergängen liegt es meiner Meinung nach sehr nahe, sich auf eine chronologische Reihenfolge zu beziehen. Manchmal merkt man aber schnell, dass sich Phasen auch wiederholen können (z.B. Single oder im Paar-Leben) und bei näherer Betrachtung wird der Übergang selbst auch zu einer eigenen Phase (z.B. Pubertät als Phase des Übergangs vom Kind zum jungen Erwachsenen). Geprägt durch meine eher konservative und katholische Erziehung, dachte ich beim Wort Ritual Im Zusammenhang mit Übergängen zwischen Lebensphasen rasch an symbolträchtige Handlungen, wie sie im Zuge von kulturellen oder religiösen Institutionen vorgenommen werden (z.B. Zeremonie einer Hochzeit). Aber ich lernte schnell, dass auch beispielsweise die Schultüte als Ritual für den Eintritt der Kinder in eine neue Phase mit weitreichenden Veränderungen symbolisieren kann.
Lebensphasen und Beziehungserfahrungen
Wie eingangs erwähnt, scheint unser biologisches Alter mit dem Begriff der Lebensphase zu korrelieren. Als Säugling haben wir andere Fähigkeiten und Bedürfnisse als ein Erwachsener. Doch nach welchen weiteren Kriterien lässt sich eine Lebensphase charakterisieren und welche Ableitungen ergeben sich daraus für unsere psychische Gesundheit?
Nun könnten wir uns zum Beispiel die Anzahl oder die Arten an Beziehungserfahrungen ansehen, die wir in unserer Entwicklung machen. Als (Klein-)Kind befinden wir uns in einer Phase der Abhängigkeit. Es fehlen uns vielleicht noch Erfahrungen sowie motorische oder sprachliche Fähigkeiten, um alleine (über-)leben zu können. Unsere Beziehungserfahrungen werden daher von einer intensiven Bindung an unsere primären Bezugspersonen geprägt sein. Als Kinder drücken wir unsere basalen Bedürfnisse und Emotionen auch sehr eindrücklich aus, um die notwendige Unterstützung zu bekommen: denken wir zum Beispiel an das Schreien von Babys oder die Trotz- und Tobsuchtsanfälle von kleinen Kindern, wenn sie Aufmerksamkeit haben wollen.
In der Zeit der Jugend oder des jungen Erwachsenenalters steht dann vielleicht eher die Individuation, die Ablösung vom System und den Werten der Herkunftsfamilie, im Vordergrund. Wir orientieren uns an unseren Peers, wollen eigene Ideale im Verbund mit neuen Gruppen entwickeln und machen unsere ersten partnerschaftlichen Beziehungserfahrungen. Die eigene Ausbildung und der Einstieg ins Berufsleben bringen abermals neue Beziehungserfahrungen mit sich. Wir treten immer mehr Systemen bei, nehmen neue Rollen ein und werden so unweigerlich mit unterschiedlichen Normen, Erwartungen und Werten konfrontiert. Die Integration dieser differenzierten Beziehungserfahrungen formt uns zu eigenständigen Individuen.
Die Entwicklung der eignen Identität begleitet uns eventuell in die Gründung einer eigenen Familie. Hier setzt dann meistens wieder eine Phase der Bezogenheit auf das neue, aktuelle Familiensystem ein. Aber auch die Nähe zur Herkunftsfamilie kann über eigene Kinder wieder verstärkt gesucht werden. Die Beziehungserfahrung der eigenen Eltern ändert sich manchmal im Lichte der Enkelkinder. Die von uns als Kinder erlebte Strenge der Eltern wandelt sich mitunter zu einer fürsorglichen Hinwendung der Großeltern an die Enkelkinder. Mit zunehmenden Alter unserer Eltern verändern sich auch deren Bedürfnisse. Die Hektik des Berufslebens weicht der Ruhe des Ruhestands. Jahrelang erprobte Muster werden abgelöst, Beziehungen verändern sich oder werden durch den Verlust von wichtigen Bezugspersonen abgebrochen. Eine Phase der Leere oder Sinnlosigkeit kann aber nicht nur in den späten Lebensjahren einsetzen. Schicksalsschläge, wie ein Jobverlust, die Trennung einer Partnerschaft, Krankheit oder der Tod einer nahestehenden Person kann uns unabhängig vom biologischen Alter jederzeit treffen und als immens einschneidendes Erlebnis den Übergang zu einer neuen Lebensphase markieren.
Übergänge und die Bedeutung von Ritualen
Wie oben erwähnt, ist die Unterscheidung zwischen Phasen und Übergängen in der Praxis gar nicht so einfach. Ist ein Übergang zeitlich beschränkt? Handelt es sich um ein bestimmtes Ereignis oder einen Status? Sind es Rituale, die dann den Status des Übergangs determinieren sollen? Aus systemischer Sicht kann wiederum die Beziehungserfahrung oder auch auch das damit verbundene Narrativ in der individuellen Einordnung sehr hilfreich sein.
Nehmen wir das Beispiel einer Partnerschaft. Woran lässt sich der Übergang von einem Single-Dasein in eine partnerschaftliche Beziehung festmachen? Manche LeserInnen mögen sich hier zunächst die Frage stellen, was wir unter dem Begriff Partnerschaft verstehen wollen? Bleiben wir der Einfachheit halber mal bei der Definition einer gleich- oder gegengeschlechtlichen Zweierbeziehung. Einige Paare mögen vielleicht eine Phase des Datings als Phase des Übergangs bezeichnen und einigen sich dann später auf ein bestimmtes Datum als Beginn der Partnerschaft. Andere Paare wählen den Tag des ersten Kennenlernen oder des ersten Kusses als Zeichen für Intimität. Oft wird dies aber eher retrospektiv gemacht, da man sich zu dem eigentlichen Zeitpunkt noch gar nicht sicher war, ob eine Partnerschaft in diesem Verständnis entstehen wird. Manche Paare wollen aber auch eine Art symbolische Handlung zur Legitimation der Gemeinschaft. Sei es die Änderung des Beziehungsstatus in den sozialen Medien oder auch die Verlobung mit Ring als Ausdruck der Verbindlichkeit. So sind es ganz individuelle Rituale, die einen Übergang begleiten können und dem eigenen Narrativ als Rahmung dienen können.
Was macht nun ein Ritual aus? Rituale sind zunächst Handlungen, die häufig etwas Symbolhaftes ausdrücken sollen, kollektiv und teilweise öffentlich durchgeführt werden und auch einen vorgeschriebenen Ablauf haben. Rituale werden in sozialen Systemen dafür genutzt einen über die eigentliche Handlung hinaus gehenden Sinn oder eine Bedeutung zu repräsentieren. Darüber hinaus konstruieren Rituale auch bestimmte Realitäten und schaffen eine innere und äußere Ordnung. Diese Aspekte können vor allem in der systemischen Psychotherapie sehr bedeutsam genutzt werden.
Wie man meinem Statement oben entnehmen kann, war ich bisher nicht ein großer Fan von Ritualen als symbolträchtige Handlungen. Für manche Übergänge mag es in unserer Gesellschaft passende Rituale geben, manchmal fehlen vielleicht solche gänzlich. Es kann aber auch Fälle geben, in denen gewisse Rituale als eher unpassend erlebt werden. Gerade in Bezug auf einschneidende Erlebnisse als Marker des Übergangs, hatte ich durch den leider viel zu frühen Tod meiner Mutter traumatische Erfahrungen gemacht. So mögen die vielen kleinen Rituale einer Beerdigung für manche Leute ein passender Rahmen zur Verabschiedung eines geliebten Menschen sein. Für mich als 13-jährigen Jungen war die Beerdigung der eigenen Mutter ohne Zweifel eine schwere Belastung, aber die Teilnahme an einem Leichenschmaus als Ritual des Dankes an die trauernde Verwandtschaft definitiv eine Überlastung.
Bedeutung der Psychotherapie in Übergängen oder kritischen Lebensphasen
Nun ist es in der Praxis meistens so, dass Menschen eher in kritischen Phasen oder Übergängen ihres Lebens Unterstützung suchen. In Paartherapien ist es oft die im Raum stehende Trennung oder Scheidung, die Klienten sehr stark belastet. Im Falle einer Einzeltherapie ist das Spektrum sehr weitreichend: von Arbeitsplatzverlust, über Krankheiten, Todesfällen oder auch traumatische Erfahrungen der Vergangenheit. Oftmals kommen Klienten in einer tiefen Verzweiflung um ihre aktuelle Situation in meine Praxis. Die meisten kämpfen schon länger mit einem vielleicht gar nicht freiwillig gewählten Übergang ihres Lebens, der ganz gegen ihre Vorstellungen eingetreten ist. Viele Klienten haben schon unzählige Versuche unternommen, die für sie schwierige Phase mit den immensen Belastungen hinter sich zu lassen. Der Glaube an eine Veränderung zum Guten ist bei manchen dadurch nur noch sehr gering. So eine Phase ist oftmals durch eine Hoffnungs- und Machtlosigkeit geprägt und für manche Klienten ist eine Veränderung zum Positiven gar nicht vorstellbar. Gerade in dieser schweren Phase eines Übergangs gilt es umso mehr, all die persönlichen Anstrengungen zu würdigen.
Angenommen, wir wären selbst gerade in dieser Situation und könnten uns trotz aller innerer Widerstände auf den Prozess einer Psychotherapie einlassen. Angenommen, diese würde wider erwarten tatsächlich gut laufen, welche Veränderungen würde uns erwarten?
Wir werden immer noch öfters unglücklich sein. Wir werden uns immer noch manchmal unverstanden und vom Schicksal ungerecht behandelt fühlen. Es wird immer noch Dinge oder Ziele geben, die wir nicht erreicht haben. Wir werden uns immer noch manchmal alleine fühlen und die Psychotherapie wird uns auch nicht vor neuerlichen Rückschlägen, Erkrankungen oder gar dem Verlust nahestehender Menschen und der damit verbundenen Trauer bewahren. Psychotherapie wird unser Leben auch nicht besser machen als es in Wirklichkeit ist.
Warum aber soll man sich dann bitte auf eine Psychotherapie überhaupt einlassen? Was kann sie uns wirklich bringen?
1.) Begleitung in einer Lebensphase
Eine Psychotherapie ist ein Beziehungsangebot zur Begleitung eines Stück des Weges. Ein Kernelement unserer eigenen Unzufriedenheit ist unsere starre Sichtweise auf bestimmte Gegebenheiten und die damit verbundenen limitierten Reaktionen und Handlungsmöglichkeiten. Je besser wir unsere bisherigen Verstrickungen und Handlungsmuster verstehen, desto mehr Möglichkeiten haben wir in Zukunft anders zu reagieren. Je sicherer wir uns selbst fühlen, umso eher können wir uns auf Neues einlassen.
2.) Orientierung und Möglichkeiten in Zeiten des Übergangs finden
Haben wir uns erst einmal in einem geschützten Raum über unsere tiefsten Wünsche und Ängste ausgetauscht, fällt es uns in Zukunft auch leichter damit in Gegenwart anderer Menschen umzugehen. Gestützt durch diese Erfahrung können wir auch besser ausdrücken, wie sich bestimmte Dinge für uns anfühlen. Anstelle von Flucht (in Alkohol, Drogen, Arbeit, Sport oder andere Abhängigkeiten) oder hoch emotionelle Streitigkeiten (mit unserem Partner, unseren Kindern oder unserem Chef) können so andere Interaktonsmöglichkeiten treten.
3.) Rituale als eine Möglichkeit für symbolträchtige Handlungen
Der therapeutische Prozess selbst kann als Übergangsritual verstanden werden, welche eine alte Struktur durch eine Schwellenphase eine neue Struktur überführt und damit Klienten in einem definierten Rahmen von einem Narrativ des Problems zu einem Narrativ des Nicht-Problems ermöglichen kann. Darüber hinaus kann man in einem geschützten Rahmen auch bisher gelebte Rituale hinterfragen oder ganz neue, für einen passendere Rituale finden.
* Aus Gründen der leichteren Lesbarkeit verwende ich abwechselnd die weibliche oder männliche Form. Männer und Frauen sind natürlich gleichermaßen angesprochen. Gerne kann der Artikel auch über soziale Netzwerke geteilt werde.
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