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AutorenbildChristian Asperger

Hinter der Fassade - mein Weg in die systemische Psychotherapie

Aktualisiert: 17. Sept. 2020

Mein heutiger Blog-Beitrag dreht sich um eine höchst persönliche Geschichte. Es geht im wahrsten Sinne des Wortes um einen "Blick hinter die Fassade" und eine für mich sehr bedeutsame Analogie.


Hinter der Fassade - mein Weg in die systemische Psychotherapie
Hinter der Fassade - mein Weg in die systemische Psychotherapie


In der Orientierung an unseren Peers bzw. unserem Umfeld sind wir ständig auf der Suche nach Anhaltspunkten für eine persönliche Standortbestimmung. Dies ist einerseits hilfreich um von anderen Menschen lernen oder sich etwas abschauen zu können. Andererseits kann es aber auch einen hohen persönlichen Druck ausüben, der im Idealfall als Motivationsschub zur Zielerreichung dient. Im Worst Case kann es aber auch sehr frustrierend wirken, weil man ständig das Gefühl des Nachlaufens nach Idealbildern erlebt. Dabei blicken wir aber öfters nicht hinter die Fassaden dieser scheinbar makellosen Ideale.



Wenn der Putz erstmal ab ist - was hat eine Mauer-Trockenlegung mit Psychotherapie zu tun?


Meine heutige Geschichte handelt vom Haus meiner Großeltern im nördlichen Wein4tel. Als ich noch zur Schule ging, verbrachte ich beinahe meine ganzen Sommerferien in diesem alten Hakenhof. Das Fundament des Hauses stammte aus dem 19. Jahrhundert, wenn man die vorhandene Substanz überhaupt so bezeichnen konnte. In einem Gemisch aus Sand-, Kalk- und Ziegelsteinen überstand der Hof zwei Weltkriege und dutzende kalte Winter - ohne Zentralheizung. Die Grundmauern standen ohne Isolierung oder Rollierung auf dem reichlich lehm- und lösshaltigen Boden des Wein4tels. Dies waren natürlich ideale Voraussetzungen, dass die Gemäuer reichlich Feuchtigkeit aufziehen konnten. Die Wände wurden zu dieser Zeit auch nicht wie heute im Baustandard vorgesehen gedämmt oder mit Silikatputz vernetzt, sondern mit einer kalkbasierten Farbschicht bedeckt.


Die Feuchtigkeit der Wände gefror über die Winter und so bildeten sich bereits nach kurzer Zeit immer wieder kristalle Salze, die dazu führten, dass der Kalk-Putz relativ rasch abbröckelte. Da meine Großeltern aber großen Wert auf eine schöne Fassade legten, verbrachten mein Vater und ich fast jeden Sommer damit, die losen Farb- und Putzschichten zu entfernen um diese dann auszubessern und wieder mit Kalk zu bemalen. Diese Reparaturarbeiten hatten allerdings eine sehr kurze Halbwertszeit und spätestens beim ersten Frost im Winter begann das Spiel wieder von vorne. Schon als Kind fragte ich mich nach der Sinnhaftigkeit dieser Prozedur, aber sowohl für meine Eltern als auch Großeltern erschien dies als völlig plausibles Vorgehen zur Beseitigung unschöner Makel.


Als meine Großeltern und leider auch kurz darauf meine Mutter verstarb, erbten mein Vater und ich den Hof. Auch während meiner Oberstufen- als auch frühen Universitätszeit verbrachten wir weiterhin noch die Sommer gemeinsam im Haus. Wir unterhielten uns damals über mögliche zukünftige Verwendungszwecke des Hofs und schmiedeten auch den einen oder anderen Umbauplan. Ein paar kleinere Projekte haben wir auch noch gemeinsam realisiert, aber zu einer richtigen Kernsanierung kam es damals noch nicht. Dadurch blieb weiterhin die jährliche oberflächliche Sisyphos Arbeit erhalten, denn auch mir war es weiterhin ein großes Anliegen, eine schöne und saubere Fassade präsentieren zu können.


Einige Jahre später kam es, dass ich meinen Hauptwohnsitz in dieses Haus verlegte. Dies war zu einer Zeit, als vielen meiner Freunde selbst ein neues Haus bauten. Ich bestaunte viele dieser prunkvollen Häuser, die offene Bauweise großer Räume oder genoss den Duft von neu verbauten Materialien. Ich wurde auch etwas neidisch und unzufrieden mit meinem Hakenhof und beschimpfte diesen auch öfters als "alte Bude". Aber auch ich wollte unbedingt schön wohnen und so begann ich mich mit der Bausubstanz bzw. nachhaltiger Sanierung und Revitalisierung zu beschäftigen. Als reiner Theoretiker hatte ich davon keine Ahnung, lernte aber Gott sei Dank recht schnell einige handwerklich begabte Freunde kennen. Deren Expertise half mir ein Verständnis für physikalische Prinzipien und deren fachgerechte Anwendung im Bau zu bekommen. So wurde mir dann auch klar, warum jedes Jahr die Feuchtigkeit in den Putz aufstieg und warum sich dieser dann nach der Frostbildung löste.


Über mehrere Jahre hinweg entfernte ich jeden Quadratzentimeter der alten Fassade, kratzte jede einzelne Fuge aus und entsorgte Tonnen von Bauschutt. Mittels professioneller Unterstützung legten wir so Meter um Meter der alten Gemäuer trocken, isolierten diese gegen Feuchtigkeit und brachten eine neue Fassade an. Manche Arbeiten funktionierten dabei nicht auf Anhieb. Speziell die Revitalisierung der für die Gegend typischen Arkadengänge mit runden aus Ziegeln gemauerten Säulen, stellte uns immer wieder vor Herausforderungen. So führte ich manche Bauschritte zwei- bis dreimal aus, bis es schlussendlich tatsächlich passte.





Als ich einige Jahre später im Rahmen meiner Psychotherapie-Ausbildung in Selbsterfahrung ging, hatte ich dann die Gelegenheit unterschiedliche Perspektiven auf diese Erfahrungen einzunehmen. Da war einerseits der für mich scheinbar wichtige "Familien-Auftrag" den Hof zu würdigen und dem Wunsch meiner Mutter bzw. Großmutter nachzukommen das Anwesen weiter zu pflegen. Darüber hinaus war ich es allerdings auch leid Jahr für Jahr die gleichen Ausbesserungsarbeiten vorzunehmen, sondern wollte den Kern des Problems verstehen und beheben. Dies in Zusammenspiel mit dem Wunsch nach Gestaltung bzw. einen persönlichen Beitrag zur Veränderung zu bringen, sind auch heute noch für mich extrem wichtige Motive.


Im Zusammenhang mit der Haltung der systemischen Familientherapie kommt immer wieder die Frage, ob ich alle Probleme meiner Kindheit oder Vorfahren aufarbeiten muss. Nun, im Kern fokussiert die systemische Therapie auf die eigenen Gestaltungsmöglichkeiten in der Gegenwart. Manchmal kann es jedoch sehr hilfreich sein, die eigene Familiengeschichte etwas genauer anzusehen. In meinem Fall war es definitiv förderlich, dass ich mir eventuell übertragene Generationsaufträge bzw. Handlungsmuster etwas genauer angesehen und deren Passung für mich hinterfragt hatte. Einerseits wollte ich in der idyllischen, dörflichen Abgeschiedenheit wohnen und verband damit auch viele schöne Kindheitserinnerungen. Andererseits waren es mein Perfektionismus und meine Vergleiche im Außen, die mich das Projekt einer Kernsanierung angehen ließen. Im damaligen Prozess selbst waren es allerdings nicht nur positive Gefühle, die mich begleiteten. Immer wieder packten mich Zweifel, Wut oder auch geringe Wertschätzung meiner eigenen Arbeit an meinem Haus. Es war eine gewisse Ambivalenz, die mich zwischen der Realisierung eines Traums und dem nicht erfüllbaren Anspruch der Perfektion hin und her gerissen hat.


In meiner eigenen Psychotherapie wurden mir diese Eigenschaften nochmals sehr bewusst und ich schaffte es dadurch auch mich von weniger förderlichen Verhaltensweisen zu distanzieren. Es war der Wunsch nach einer tiefgreifenden Veränderung, ein Blick hinter die Fassade zu den Ursprüngen von oberflächlicher Unzufriedenheit oder auch Unzulänglichkeit, der mich auf meiner Reise ins Innere gelockt hatte.


* Aus Gründen der leichteren Lesbarkeit verwende ich abwechselnd die weibliche oder männliche Form. Männer und Frauen sind natürlich gleichermaßen angesprochen. Gerne kann der Artikel auch über soziale Netzwerke geteilt werde.


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