In Zeiten der Unsicherheit sind vor allem Führungskräfte auf der Suche nach Orientierung. Wahre Führungsqualitäten zeigen sich in der Krise. Doch was braucht es um Verantwortung leben zu können? Sicherlich nicht noch einen Expertenartikel - eher eine bestimmte Haltung gegenüber der Situation und den Menschen. Wie sie systemisches Coaching dabei unterstützen kann?
Als Führungskraft war auch ich im Laufe meiner Entwicklung immer wieder mit herausfordernden Situationen konfrontiert: signifikante Nachfrage- und Umsatzrückgänge, Kosten- oder Mitarbeitereinsparungsprogramme. Aber sicherlich war nichts von alledem mit der aktuellen Situation aufgrund der COVID-19 Pandemie vergleichbar. Einmal mehr fühle ich mich dadurch auch in der systemischen Haltung bestätigt. Die Vielfalt und Komplexität unserer durch technologischen Fortschritt geprägten, sozialen Umwelt macht es unmöglich, sich auf alle Situation vorzubereiten.
Selbst wenn wir denken, dass wir das eine oder andere Problem bereits kennen und damit rasch in den Lösungsmodus gehen wollen, kann dies sehr trügerisch sein. Der aktuelle Rückgang der Nachfrage an bestimmten Produkten oder Dienstleistungen hat vielleicht ganz andere Gründe als 2009. Trotz massiver Investitionen in die Digitalisierung der unternehmerischen Kernprozesse in den letzten Jahren lassen eventuell aktuelle Rahmenbedingungen die ursprünglich geplanten Kosteneinsparungen nicht realisieren.
"Führungskräfte sind aktuell so gefordert wie nie zuvor."
Mitarbeiter sitzen teilweise im Home Office, die Kommunikationswege haben sich verändert und plötzlich sind nahezu alle Führungskräfte mit der virtuellen Führung ihres Teams konfrontiert. In multinationalen Konzernen mit weltweiter Produktions- und Vertriebstätigkeit ist dies eigentlich nichts Neues. Trotzdem ist auch hier nicht alles 1:1 so weiterführbar wie bisher. Speziell Führungskräfte mit einer stark gewohnten Präsenzkultur, einem bisher eher krisensicheren Geschäftsfeld oder wenig Erfahrung in der Führungsarbeit an sich, werden durch diese Veränderungen stark gefordert.
Mitarbeiter aber auch Führungskräfte sind gerade in Zeiten der Krise auf der Suche nach Orientierung und Sicherheit. Doch wie lassen sich diese unter den eingangs geschilderten Rahmenbedingungen überhaupt kreieren? Selbst die Experten aus den diversen wissenschaftlichen Fachgebieten der Wirtschaft, Epidemiologie, Virologie, Soziologie, Psychologie etc. sind sich doch nicht einig, wenn es um Prognosen der zukünftigen Entwicklung geht. Wir hören dies, lesen das und sehen dann doch ganz etwas anderes.
Komplexität und Differenzierung
An einem Problem und an einer Lösung sind mehrere Menschen oder Experten (z.B. Werte, Ideen, Vorstellungen) beteiligt. So ist es auch nicht verwunderlich, dass es mehrere Wahrheiten nebeneinander geben kann. Solche Ambivalenzen erzeugen in uns Spannungen und gerade als Führungskräfte oder Manager sind wir sind stets bemüht diese Widersprüche zu reduzieren. Aber wie können wir so jemals Klarheit schaffen, geschweige denn diese an Teams oder Mitarbeiter vermitteln? Dazu ist es immens wichtig genau zu differenzieren und genau auf den Kontext, die Situation und die Beteiligten zu achten. Welche Aufträge, Wünsche oder Beschwerden werden von welcher Seite geäußert um welches Ziel zu erreichen? Die Klarheit darüber ermöglicht mir erst zu erfahren, was nun für mich zu tun ist. Dazu ist es auch wichtig zu wissen und zu unterscheiden, was ich selbst in einer bestimmten Situation tun kann, tun will, tun soll - und was nicht. Beim Versuch etwas zu ändern braucht es neben den Zielen auch die dazu notwendigen Mittel. Es ist nicht sinnvoll an Zielen zu arbeiten, wenn ich nicht die geeigneten Mittel und Ressourcen habe diese zu erreichen. Manche Ziele können allerdings auch mit anderen Mitteln erreicht werden. Uns hindert manchmal bloß die Fixierung auf bestimmte Mittel.
Offenheit und Dialog
Wahrscheinlich haben viele Führungskräfte Erfahrungen aus diversen Change-Management Weiterbildungen. Hier wird immer wieder betont, wie wichtig klare und transparente Kommunikation ist. Dazu braucht es aber auch akkordierte Inhalte, auf deren Beständigkeit sich sowohl die Führungskräfte als auch die Mitarbeiter verlassen können. In der politischen Krisenkommunikation im März 2020 konnten wir gut beobachten, wie beispielsweise die zuerst kommunizierte und dann adaptierte Definition von "Ausgangsbeschränkungen" zu Unsicherheiten in der Bevölkerung geführt hatte.
Die Vielfalt und Komplexität in der aktuellen Situation ist so groß, dass ich mich nie auf alles und jede Situation vorbereiten kann. Als Führungskraft ist es wichtig so flexibel zu werden, dass ich im Moment offen, handlungsfähig und lernbereit bin. Jede Situation ist neu und höchst individuell im Erleben. Bestehendes Wissen und Erfahrungen müssen daher auch immer hinterfragt werden, ob sie gerade in diesem Moment hilfreich sind. Dies passiert im Dialog mit den Mitarbeitern, die einen wesentlichen Beitrag zum Gelingen der Zusammenarbeit leisten. Solche Ausnahmesituationen sind für alle ungewohnt. Im Dialog sollen auch Sorgen und Ängste Gehör finden können.
Vertrauen und Zuversicht
Jeder von uns hat bereits die Fähigkeiten, die wir zur Bewältigung von Situationen brauchen, in sich. Ich muss mir ihrer nur bewusst werden. Ich muss auch nicht alles zu Ende verstehen oder lösen. Unser Leben ist von stetiger Veränderung geprägt. Menschen sind andauernd damit beschäftigt ihre Lebenslagen zu gestalten. Manchmal merken wir es mehr und manchmal weniger. Und ich muss nichts ganz alleine lösen. Die Menschen in meinem Umfeld helfen mir durch das, was sie sagen und tun, zu verstehen, was der nächste Schritt sein könnte. Besonders jüngere Führungskräfte sind hier aufgerufen, sich mit erfahrenen Kollegen auszutauschen. Alle sind von derselben Situation betroffen, daher empfiehlt es sich, immer den Kontakt zu anderen zu suchen. Dies kann ein Mentor oder auch eine andere Person sein, welche ein Vorbild ist. Ein kurzes Telefonat von 5 Minuten pro Tag kann hierbei schon hilfreich sein.
Verantwortung und Bewusstsein
Die eigene Verantwortung für das Denken, Fühlen und Handeln wahrzunehmen ist der erste Schritt zu Veränderung. Dazu braucht es auch ein Bewusstsein für die eigene Rolle. Führungskräfte erleben in Zeiten der Krise eine immense Doppelbelastung. Sie müssen weiter ihre Agenden vorantreiben und die Ängste und Nöte der MitarbeiterInnen begleiten. Sie müssen Maßnahmenpläne, neue Strukturen und vieles mehr gleichzeitig schaffen. Für alle bedeutet dies aktuell mehr Arbeit. Nur wer gut für sich selbst sorgt, kann so auch gut für andere sorgen.
Suchen Sie sich rechtzeitig eine gute Unterstützung und Begleitung. Eine vertrauensvolle Stütze hilft die aktuelle Situation zu reflektieren und herauszufinden, was man ganz persönlich braucht, um den Energielevel hoch zu halten und Stress zu vermeiden. Welche eigenen Ressourcen können Sie aktiveren um für diese immensen Anstrengungen gut gerüstet zu sein? Zu guter Letzt sollte man eines nicht vergessen: in der jetzigen Situation kann man mit Sicherheit viel über sich selbst und vor allem andere lernen.
* Aus Gründen der leichteren Lesbarkeit verwende ich abwechselnd die weibliche oder männliche Form. Männer und Frauen sind natürlich gleichermaßen angesprochen. Gerne kann der Artikel auch über soziale Netzwerke geteilt werde.
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