Männer suchen zunehmend Hilfe bei psychischen Problemen. Trotzdem scheint es für viele Männer noch ein stärkeres Tabu als für Frauen zu sein, ihren Gefühlen ausreichend Raum und Zeit unter professioneller Hilfestellung zu geben. Welche Hürden oder Befürchtungen bestehen hier noch und wie kann "Mann" diese überwinden?
Es war 2009 als der deutsche Nationaltorhüter Robert Enke aufgrund einer Depression Suizid beging. Der Fall ging tagelang durch die Medienlandschaft. Es gab eine große Verabschiedung im Stadion von Hannover 96, eine Pressekonferenz seiner Witwe, um die vielen offenen Fragen des Suizids eines so erfolgreichen Mannes und einer Sportikone zu beantworten. Später erschienen dann noch TV Dokumentationen, ein Buch und die Witwe von Robert Enke gründete eine eigene Stiftung zur Aufklärung und Behandlung von Depressionserkrankungen.
“Der Fall Robert Enke hat bei vielen Männern das Tabu gebrochen, therapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen.”
Eine Dekade nach dem tragischen Suizid des deutschen Fussballers haben sich manche Dinge verändert. In den Medien wird öfters über psychische Erkrankungen und deren Auswirkungen berichtet. Einige bekannte Persönlichkeiten gingen öffentlich in Interviews oder Büchern auf ihre psychischen Probleme ein. Trotzdem scheint es in vielen Bereichen unserer Leistungsgesellschaft immer noch ein Tabu zu geben. Gerade am Arbeitsplatz ist die Angst vor einer eventuellen Stigmatisierung noch sehr groß. Wie reagiert mein Umfeld auf mich als Mann, wenn ich mit psychischen Belastungen nicht mehr alleine zurecht komme? Wen kann ich um Hilfe bitten und wer soll oder darf davon Bescheid wissen?
Mythos "Mann" kann nicht über Gefühle sprechen
Aus Daten des Zentralinstituts für die Kassenärztliche Versorgung in Deutschland geht hervor, dass die Zahl männlicher Patienten zwischen 2009 und 2014 stärker angestiegen ist als jene der weiblichen. Damit hat sich auch das Verhältnis zwischen männlichen und weiblichen Patienten verschoben: Waren 2009 noch etwa 26 Prozent der Patienten männlich und 74 Prozent weiblich, lag das Verhältnis 2014 schon bei 28 zu 72 Prozent. Man kann davon ausgehen, dass sich dieser Trend in den letzten 5 Jahre weiter fortgesetzt hat und es in Österreich auch eine ähnliche Entwicklung gab.
Aus meinen persönlichen Erfahrungen ist es auch so, dass männliche Patienten eher einen männlichen Psychotherapeuten suchen. Manche Themen, wie zum Beispiel aus den Bereichen Partnerschaft und Sexualität, besprechen Männer scheinbar lieber mit Männern. Oft sind es aber zunächst eher Themen aus dem Berufs-, Karriere- oder im weiteren Sinne Leistungsumfeld, die Männer dazu veranlassen sich professionelle Unterstützung zu suchen. Gerade im Business-Kontext ist so ein gängiger Weg für Männer über ein Thema aus dem Coaching Bereich einen ersten Kontakt herzustellen, sei es ein schwieriges Projekt, eine neue berufliche Herausforderung oder das Gefühl der Überlastung durch die zunehmende Arbeitslast oder einer schlechter werdenden Kommunikation mit Kollegen, Mitarbeitern oder der Führungskraft.
Neben Herausforderungen im beruflichen Umfeld sind es für Männer aber auch Themen aus dem Bereich der Partnerschaft oder Fragen der Selbstidentität der Rolle als Mann in einem Umfeld voller unterschiedlicher und teils widersprüchlicher Anforderungen, die zu einem Gefühl der Überlastung führen können. Das Bild des modernen Mannes hat sich gerade in den letzten zwei Dekaden sehr stark gewandelt. Vor allem junge erwachsene Männer sind hier mit deutlich vielfältigeren Optionen konfrontiert worden. Dazu haben diese meistens auch schon ein anderes Männerbild ihres Vaters in der kindlichen und frühjugendlichen Erziehung bekommen. Dieses Bild kann zu einer Idealisierung des männlichen Anforderungsprofils basierend auf einer erfolgreichen beruflichen Karriere, der damit einhergehende finanziellen Absicherung der Familie, einer einfühlsamen Partner- und fürsorglichen Vaterrolle, führen.
Diese Anforderungen gepaart mit persönlichen Unsicherheiten oder Ängsten können Männer unter enormen Druck setzen, ohne dies gleich zu bemerken. Oft sind es dann Gefühl der Erschöpfung und Niedergeschlagenheit, eine unerklärbare Gereiztheit oder der übermäßige Konsum von berauschenden Mitteln, die sich als erste Symptome zeigen. Manchmal sind es dann Konflikte am Arbeitsplatz oder in der Partnerschaft, die so als Ventil für aufgestaute Gefühle fungieren. Viele Männer berichten aber auch, dass sie nicht genau wüssten, was mit ihnen los ist oder auch nicht benennen können, was ihnen fehlt.
Für Männer ist es daher genauso wichtig wie für Frauen, sich mit diesen "über-idealisierten" Rollenbildern auseinanderzusetzen und in die persönliche Reflexion zu gehen. Was ist mir persönlich wichtig, welchen Sinn möchte ich meinem Leben geben, wie kann ich dabei bei mir selbst bleiben und Spannungen frühzeitig erkennen? Das Bewusstmachen und Benennen von problematischen Themen kann für ein gemeinsames Verständnis als erster Schritt sehr hilfreich sein. Im Rahmen einer Psychotherapie können dann bestimmte Muster erkannt und persönlich wichtige Werte definiert werden, um so wirksame Schritte in der Behandlung zu setzen.
* Aus Gründen der leichteren Lesbarkeit verwende ich abwechselnd die weibliche oder männliche Form. Männer und Frauen sind natürlich gleichermaßen angesprochen. Gerne kann der Artikel auch über soziale Netzwerke geteilt werde.
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